Keratokonjunktivitis epidemica 

Keratokonjunktivitis epidemica 

Das Wichtigste auf einen Blick (TL;DR)

Die Keratokonjunktivitis epidemica (KCE), umgangssprachlich „Augengrippe“ genannt, ist eine hochansteckende Augeninfektion durch Adenoviren. Die Krankheit betrifft sowohl die Bindehaut als auch die Hornhaut und ist in Deutschland meldepflichtig. Typische Symptome sind starke Rötung, Tränenfluss, Fremdkörpergefühl und Lichtscheu. Eine ursächliche Behandlung existiert nicht – die Therapie erfolgt rein symptomatisch. Die Ansteckungsgefahr besteht bis zu zwei Wochen, weshalb strikte Hygienemaßnahmen essentiell sind.

Wichtige Punkte:

  • Erreger: Adenoviren (hauptsächlich Typ 8, 19, 37)
  • Übertragung: Schmier- und Tröpfcheninfektion
  • Verlauf: 2-6 Wochen, selbstlimitierend
  • Komplikationen: Hornhauttrübungen (Nummuli) in 25% der Fälle
  • Behandlung: Symptomatisch mit Tränenersatzmitteln

Definition und Erreger

Die Keratokonjunktivitis epidemica ist eine virale Entzündung der Bindehaut (Konjunktiva) und Hornhaut (Kornea) des Auges. Die Erkrankung wird durch Adenoviren der Serotypen 8, 19 und 37 verursacht, die zur Familie der Adenoviridae gehören. Diese Viren zeichnen sich durch ihre besondere Infektiosität und Umweltresistenz aus.

Eigenschaften der Adenoviren

Adenoviren sind ungefähr 80 bis 110 nm große Doppelstrang-DNA-Viren. Sie sind von einem ikosaedrischen Kapsid umgeben und besitzen keine Hülle. Dadurch sind Adenoviren sehr umweltresistent, auch gegenüber vielen handelsüblichen Desinfektionsmitteln.

Wichtige Merkmale:

  • Doppelsträngige DNA-Viren ohne Hülle
  • Hochresistent gegen Umwelteinflüsse
  • Überleben auf Oberflächen bis zu mehreren Wochen
  • Resistent gegen viele Standard-Desinfektionsmittel

Epidemiologie und Häufigkeit

Meldezahlen in Deutschland

Seit Einführung der Meldepflicht im Jahr 2001 war die Zahl der jährlichen Erkrankungen großen Schwankungen unterworfen und betrug zwischen 82 und 658 Erkrankungen pro Jahr. Die höchsten Erkrankungszahlen lagen in den Jahren 2004 (n=658) und 2006 (n=574) vor. In den ersten acht Monaten des Jahres 2010 betrug die Anzahl der Infektionen 316 gemeldete Fälle, was einer Steigerung um 300% im Vergleich zu den beiden vorherigen Jahren entspricht.

Betroffene Altersgruppen und Risikogruppen

Die Keratokonjunktivitis epidemica betrifft alle Altersgruppen gleichermaßen. Bei Kindern wird eine infektiöse Konjunktivitis in ca. 80% der Fälle durch Adenoviren verursacht. Besonders gefährdet sind:

  • Personen in Gemeinschaftseinrichtungen (Schulen, Kindergärten, Altenheime)
  • Patienten und Personal in medizinischen Einrichtungen
  • Kontaktlinsenträger bei unsachgemäßer Pflege

Übertragung und Ansteckungswege

Hauptübertragungswege

Die Keratoconjunctivitis epidemica wird überwiegend durch Schmier- (gelegentlich auch Tröpfchen-)infektion übertragen. Hände und kontaminierte Gegenstände sind die Hauptübertragungswege für Adenoviren.

Typische Ansteckungsszenarien:

  • Direkter Kontakt mit Tränenflüssigkeit infizierter Personen
  • Berührung kontaminierter Oberflächen (Türgriffe, Haltestangen)
  • Gemeinsame Nutzung von Handtüchern, Kosmetikartikeln
  • Kontaminierte medizinische Instrumente (besonders Tonometer)

Ansteckungsdauer und Inkubationszeit

Erkrankte Personen können bis zu zwei Wochen ansteckend sein, meist sind sie dies sogar schon bevor sich Symptome bemerkbar machen. Die Inkubationszeit des Adenovirus am Auge beträgt normalerweise etwa 5 bis 12 Tage.

Symptome und Krankheitsverlauf

Akute Symptome

Das klinische Bild ist durch einen plötzlichen Beginn mit Rötung, ringförmiger Bindehautschwellung sowie präaurikulärer Lymphknotenschwellung gekennzeichnet. Subjektive Beschwerden sind Fremdkörpergefühl, Lichtscheu, Juckreiz und Tränenfluss.

Charakteristische Anzeichen:

  • Starke Rötung und Schwellung der Bindehaut
  • Intensives Fremdkörpergefühl im Auge
  • Ausgeprägter Tränenfluss
  • Lichtscheu (Photophobie)
  • Brennen und Juckreiz
  • Verkrustete Sekrete, besonders morgens
  • Schwellung der Augenlider (Ptosis)

Krankheitsverlauf und Phasen

Die Symptome erreichen normalerweise innerhalb von 2 bis 5 Tagen ihren Höhepunkt. In dieser Phase können die Augen sehr gerötet sein, und die Betroffenen können unter starkem Juckreiz, Brennen und Lichtempfindlichkeit leiden.

Verlaufsphasen:

  1. Inkubationszeit: 5-12 Tage symptomfrei
  2. Akute Phase: Plötzlicher Beginn mit intensiven Symptomen
  3. Höhepunkt: 2-5 Tage mit maximaler Ausprägung
  4. Abklingen: Allmähliche Besserung über 2-6 Wochen

Beidseitige Beteiligung

Die Symptome betreffen zu Beginn meist nur ein Auge, gehen aber meistens innerhalb weniger Tage auch auf das andere Auge über. Dies ist ein charakteristisches Merkmal der Keratokonjunktivitis epidemica.

Diagnose und Untersuchung

Klinische Diagnostik

Die Diagnosestellung erfolgt in der Regel durch den Augenarzt aufgrund des klinischen Krankheitsbildes. Die Spaltlampenuntersuchung zeigt typische Befunde an Bindehaut und Hornhaut.

Wichtige Untersuchungsschritte:

  • Ausführliche Anamnese mit Fragen nach Kontakten
  • Spaltlampenuntersuchung der vorderen Augenabschnitte
  • Beurteilung von Bindehaut- und Hornhautveränderungen
  • Untersuchung der regionalen Lymphknoten

Labordiagnostik

Zur weiteren Diagnostik und zur genauen Bestimmung des Erregers nimmt der Augenarzt einen Abstrich vor, aus welchem eine Kultur gewonnen bzw. einer PCR durchgeführt werden kann. Der Nachweis erfolgt bei epidemischen Ausbrüchen durch Amplifikation und Sequenzierung der Proben.

Laborverfahren:

  • Bindehautabstrich für PCR-Nachweis
  • Viruskultur (zeitaufwendig, selten durchgeführt)
  • Antigennachweis mittels ELISA
  • Genomsequenzierung bei Ausbrüchen

Behandlung und Therapie

Grundprinzipien der Behandlung

Es gibt keine ursächliche Therapie. Antivirale Medikamente zeigen wenig Erfolg, symptomatisch können Tränenersatzmittel als Augentropfen in der Akutphase der Erkrankung sinnvoll sein. Derzeit gibt es kein wirksames Virustatikum, das den subjektiven und objektiven Verlauf nachweislich beeinflusst.

Symptomatische Therapie

Standardbehandlung:

  • Befeuchtende Augentropfen (Tränenersatzmittel)
  • Kühle Kompressen zur Linderung der Beschwerden
  • Schmerzlindernde Maßnahmen bei Bedarf
  • Vermeidung von Augenreiben

Bei bakterieller Superinfektion: Ist eine Superinfektion durch Bakterien eingetreten, merkbar an eitriger Sekretion, sollten antibiotikahaltige Augentropfen angewendet werden. Ein prophylaktischer Gebrauch ist meistens unbegründet.

Behandlung der Komplikationen

Nummuli (Trübungen der Hornhaut) sprechen jedoch in der Regel gut auf cortisonhaltige Augentropfen an. Zu beachten ist jedoch, dass diese nach Beendigung der Therapie wieder auftreten können.

Therapieoptionen bei Hornhauttrübungen:

  • Cortisonhaltige Augentropfen (kontrovers diskutiert)
  • Ciclosporin A-haltige Tropfen bei persistierenden Nummuli
  • Laserbehandlung in schweren Fällen
  • Langfristige angepasste Therapie bei Rezidiven

Komplikationen und Spätfolgen

Hornhauttrübungen (Nummuli)

Als Spätfolgen entstehen bei 25% der Erkrankten Nummuli, charakteristische Hornhauttrübungen, die das Sehen langfristig beeinträchtigen können. Nach etwa einwöchigem Krankheitsverlauf kann es in wechselnder Häufigkeit (zwischen 20 und 90%) zu einer Beteiligung der Kornea kommen.

Merkmale der Nummuli:

  • Fleckförmige Hornhauttrübungen
  • Entstehen durch Immunreaktion auf die Viren
  • Können monate- bis jahrelang persistieren
  • Verursachen Blendempfindlichkeit und unscharfes Sehen

Weitere Langzeitfolgen

Nach Abheilung der Erkrankung innerhalb von bis zu 6 Wochen kommt es in einigen Fällen zu einer anhaltenden Trockenheit (Sicca-Syndrom). Auch ein Versagen der Hornhaut-Epithel-bildenden Stammzellen des Limbus und das Auftreten eines Keratokonus wird mit einer durchgemachten Keratoconjunctivitis epidemica korreliert.

Mögliche Spätfolgen:

  • Chronisches Sicca-Syndrom (trockene Augen)
  • Limbusinsuffizienz
  • Keratokonus-Entwicklung
  • Irregulärer Astigmatismus
  • Dauerhafte Sehbeeinträchtigung

Prävention und Hygienemaßnahmen

Allgemeine Hygienemaßnahmen

Eine konsequente Hände- und Flächendesinfektion ist die wichtigste prophylaktische Maßnahme. Da Adenoviren eine hohe Umweltresistenz auch gegenüber vielen Desinfektionsmitteln aufweisen, dürfen für die Desinfektionsmaßnahmen nur sogenannte viruzide Präparate eingesetzt werden.

Wichtige Präventionsmaßnahmen:

  • Regelmäßige Händedesinfektion mit viruziden Mitteln
  • Vermeidung von Augenkontakt mit ungewaschenen Händen
  • Keine gemeinsame Nutzung von Handtüchern und Kosmetika
  • Desinfektion von Oberflächen in medizinischen Einrichtungen
  • Isolierung erkrankter Personen

Maßnahmen in medizinischen Einrichtungen

Es empfiehlt sich der Gebrauch von Einmal-Tonometerköpfchen sowie von patientenbezogenen (Einmal-)Augentropfen und eine Isolation der Patienten im stationären Bereich. Im ambulanten Bereich sollten Patienten mit einer Keratokonjunktivitis epidemica getrennt von anderen Patienten am Ende der Sprechstunde behandelt werden.

Spezielle Hygienemaßnahmen:

  • Einmal-Tonometerköpfe verwenden
  • Patientenbezogene Augentropfen
  • Behandlung am Ende der Sprechstunde
  • Schutzhandschuhe bei allen Untersuchungen
  • Gründliche Gerätdesinfektion nach jedem Patienten

Arbeitsunfähigkeit und Isolation

Erkranktes medizinisches Personal gilt als infektiös und darf während der symptomatischen Phase nicht arbeiten. Die Arbeit in oder der Besuch von Gemeinschaftseinrichtungen wie Schulen oder Kindergärten sollte erst wieder aufgenommen werden, wenn die Entzündung abgeklungen ist.

Prognose und Heilungsaussichten

Verlauf und Heilung

Die Erkrankung ist selbstlimitierend und verläuft unvorhersehbar. Da eine Ausheilung bereits innerhalb von 2 Wochen erfolgt, gibt es keine spezielle Therapie-Empfehlung. In der Regel heilt die ansteckende Augenbindehaut- und Hornhautentzündung vollständig und folgenlos aus. Nur selten verschlechtert sich das Sehvermögen dauerhaft.

Prognose im Überblick:

  • Selbstlimitierender Verlauf über 2-6 Wochen
  • Vollständige Heilung in den meisten Fällen
  • Risiko für Komplikationen bei 20-25% der Patienten
  • Sehr selten dauerhafte Sehverschlechterung
  • Lebenslange Immunität gegen den spezifischen Serotyp

Faktoren für den Verlauf

Günstige Prognosefaktoren:

  • Frühe Diagnosestellung
  • Konsequente Hygienemaßnahmen
  • Vermeidung bakterieller Superinfektionen
  • Gute Allgemeinverfassung

Ungünstige Faktoren:

  • Immunsuppression
  • Begleiterkrankungen der Augenoberfläche
  • Verzögerte Behandlung von Komplikationen

Meldepflicht und rechtliche Aspekte

Meldepflicht nach Infektionsschutzgesetz

Nach dem Bundesrecht Deutschlands besteht eine namentliche Meldepflicht nach § 7 des Infektionsschutzgesetzes (InfSG) beim direkten Nachweis des Erregers Adenoviren im Augenabstrich für Labore. Die Meldepflicht gemäß IfSG beschränkt sich auf den Nachweis aus dem Konjunktivalabstrich des Auges, womit die epidemische Keratokonjunktivitis erfasst wird.

Meldepflichtige Aspekte:

  • Labordiagnostischer Nachweis von Adenoviren im Augenabstrich
  • Namentliche Meldung an das Gesundheitsamt
  • In einigen Bundesländern auch Verdachtsfälle meldepflichtig
  • Meldefrist: unverzüglich, spätestens 24 Stunden

Arbeitsrechtliche Konsequenzen

Erkrankte Personen, insbesondere in medizinischen Berufen oder Gemeinschaftseinrichtungen, unterliegen besonderen Arbeitsschutzbestimmungen. Die Arbeitsunfähigkeit besteht bis zum vollständigen Abklingen der Symptome und der Ansteckungsgefahr.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Wie lange bin ich ansteckend? Die Ansteckungsgefahr besteht etwa 2 Wochen, bereits vor Symptombeginn bis zum Abklingen der akuten Entzündung.

Kann ich Kontaktlinsen während der Erkrankung tragen? Nein, Kontaktlinsen sollten während der gesamten Erkrankung und bis zur vollständigen Abheilung nicht getragen werden.

Wann kann ich wieder arbeiten/zur Schule gehen? Erst nach vollständigem Abklingen der Entzündung und ärztlicher Freigabe, typischerweise nach 2-3 Wochen.

Ist eine Impfung möglich? Derzeit existiert keine Impfung gegen Adenoviren, die eine Keratokonjunktivitis verursachen.

Können beide Augen gleichzeitig betroffen sein? Meist beginnt die Erkrankung einseitig und breitet sich innerhalb weniger Tage auf das andere Auge aus.

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