Das Wichtigste auf einen Blick (TL;DR)
Die Presbyopie oder Alterssichtigkeit ist eine natürliche Altersveränderung des Auges, die meist ab dem 40. bis 45. Lebensjahr auftritt. Über eine Milliarde Menschen weltweit sind von Alterssichtigkeit betroffen, Tendenz steigend aufgrund der demografischen Entwicklung. Die Behandlung erfolgt hauptsächlich durch Sehhilfen wie Lesebrillen, Gleitsichtbrillen oder multifokale Kontaktlinsen. Moderne Operationsmethoden mit Multifokallinsen bieten eine dauerhafte Lösung für Patienten, die Brillenfreiheit anstreben.
Kernsymptome: Schwierigkeiten beim Lesen in normaler Entfernung, brennende Augen bei Naharbeit, Kopfschmerzen nach längerem Lesen.
Hauptbehandlungen: Lesebrille (+0,5 bis +3,5 Dioptrien), Gleitsichtbrille, multifokale Kontaktlinsen, refraktiver Linsentausch mit Multifokallinsen.
Was ist Presbyopie? Definition und Abgrenzung
Die Presbyopie (von altgriechisch „presbys“ = alt und „ops“ = Auge) bezeichnet den fortschreitenden, altersbedingten Verlust der Naheinstellungsfähigkeit des Auges, medizinisch als Akkommodation bezeichnet. Ein scharfes Sehen in der Nähe ist ohne geeignete Korrektur nicht mehr möglich.
Wichtige Abgrenzung: Presbyopie ist nicht gleich Weitsichtigkeit
Obwohl Presbyopie oft als „Altersweitsichtigkeit“ bezeichnet wird, handelt es sich nicht um eine klassische Weitsichtigkeit (Hyperopie). Während Weitsichtigkeit meist angeboren ist und auf einem Brechungsfehler des Auges beruht, entsteht Presbyopie durch physiologische Alterungsprozesse der Augenlinse.
Die Presbyopie wird kontrovers diskutiert: Der Berufsverband der Augenärzte Deutschlands (BVA) klassifiziert sie nicht als Krankheit, sondern als Folge einer physiologischen Alterung der Augenlinse. Im internationalen Klassifikationssystem ICD hingegen wird sie unter „Krankheiten des Auges und der Augenanhangsgebilde“ geführt.
Ursachen und Entstehung der Presbyopie
Die Presbyopie entsteht durch mehrere altersbedingte Veränderungen im Auge:
1. Elastizitätsverlust der Augenlinse
Mit zunehmendem Alter verliert die Augenlinse an Biegsamkeit und wird fester. Bereits ab dem 10. Lebensjahr beginnt dieser Prozess der Linsenversteifung, macht sich aber erst zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr bemerkbar. Die Linse kann sich dadurch schlechter wölben, was für die Naheinstellung erforderlich ist.
2. Verdickung und Sklerosierung des Linsenkerns
Durch Sklerosierung und Elastizitätsverlust des Linsenkerns nimmt die Akkommodationsbreite (Akkommodationsamplitude) stetig ab. Das Gewebe der Linse verdichtet sich über die Jahre, wodurch sie dicker und härter wird.
3. Schwächung der Ziliarmuskulatur
Der Ziliarmuskel, der für die Formveränderung der Linse verantwortlich ist, verliert mit dem Alter an Kraft. Dies trägt zusätzlich zur verminderten Akkommodationsfähigkeit bei.
Risikofaktoren für frühere Presbyopie
Bestimmte Erkrankungen können eine frühere Entwicklung der Alterssichtigkeit begünstigen:
- Diabetes mellitus
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen
- Multiple Sklerose
- Bereits bestehende Weitsichtigkeit
Symptome der Presbyopie erkennen
Die ersten Anzeichen einer Presbyopie entwickeln sich meist schleichend:
Frühe Symptome
- „Die Arme werden zu kurz“: Bücher und Zeitungen müssen immer weiter weg gehalten werden
- Schwierigkeiten beim Lesen bei schwachem Licht
- Verschwommene Sicht beim Betrachten des Handydisplays
- Probleme beim Entziffern von Preisschildern im Supermarkt
Fortgeschrittene Symptome
- Brennende, müde Augen nach Naharbeit
- Kopfschmerzen nach längerem Lesen oder Computerarbeit
- Muskuläres Anspannen und Zusammenkneifen der Augen
- Verschlechterung der Nahsicht bei Müdigkeit
Presbyopie bei bereits bestehenden Fehlsichtigkeiten
Bei Kurzsichtigkeit (Myopie): Presbyope Kurzsichtige können manchmal ihre Fernbrille zum Lesen abnehmen, da sich beide Sehfehler teilweise ausgleichen.
Bei Weitsichtigkeit (Hyperopie): Die Presbyopie macht sich oft früher und deutlicher bemerkbar, da bereits vor der Alterssichtigkeit Schwierigkeiten beim Nahsehen bestanden.
Bei Hornhautverkrümmung (Astigmatismus): Die Symptome können sich unterschiedlich äußern, je nach Ausprägung der Verkrümmung.
Diagnose der Presbyopie
Die Diagnose der Presbyopie erfolgt durch eine augenärztliche Untersuchung mit speziellen Sehtests:
Standarduntersuchungen
- Nahvisustest: Prüfung der Nahsehschärfe in verschiedenen Entfernungen
- Akkommodationstest: Messung der verbliebenen Akkommodationsfähigkeit
- Refraktionsbestimmung: Ermittlung der benötigten Glasstärke
- Pupillenfunktionsprüfung: Überprüfung der Pupillenreaktion
Wichtige Orientierungswerte für die Nahaddition
Die benötigte Glasstärke richtet sich nach dem Lebensalter:
- 45 Jahre: +0,5 bis +1,0 Dioptrien
- 50 Jahre: +1,5 bis +2,0 Dioptrien
- 55 Jahre: +2,0 bis +2,5 Dioptrien
- 60 Jahre: +2,5 bis +3,0 Dioptrien
- 65+ Jahre: +3,0 bis +3,5 Dioptrien
Additionen über 2,50 Dioptrien sind Sonderfälle und erfordern eine individuelle Anpassung.
Moderne Behandlungsmöglichkeiten der Presbyopie
1. Brillenkorrektion – Der bewährte Standard
Lesebrille
Die einfachste und kostengünstigste Lösung für die reine Presbyopie. Eine individuell angepasste Lesebrille vom Augenoptiker bietet die höchste Sehqualität im Nahbereich.
Vorteile:
- Optimale Bildqualität
- Kostengünstig
- Einfache Handhabung
Nachteile:
- Ständiges Auf- und Absetzen erforderlich
- Fernsicht verschlechtert sich mit der Brille
Gleitsichtbrille
Ermöglicht stufenloses Sehen von der Ferne bis in die Nähe ohne Bildsprünge.
Vorteile:
- Nur eine Brille für alle Entfernungen
- Ästhetisch ansprechend (keine sichtbare Trennlinie)
Nachteile:
- Eingewöhnungszeit erforderlich
- Bildverzerrungen in den Randbereichen
- Regelmäßige Verstärkung alle 4-5 Jahre nötig
Mehrstärkenbrillen (Bifokal/Trifokal)
Zweistärkengläser (Bifokalgläser) haben einen unteren Bereich für die Nahkorrektur und einen oberen für die Fernkorrektur. Dreistärkengläser (Trifokalgläser) bieten zusätzlich einen mittleren Bereich für Zwischenentfernungen.
2. Kontaktlinsen für Presbyopie – Flexible Lösungen
Multifokale Kontaktlinsen
Moderne multifokale Kontaktlinsen bieten mehrere Sehzonen in einer Linse und ermöglichen scharfes Sehen in verschiedenen Entfernungen.
Besonders geeignet für:
- Aktive Menschen 50+
- Sportler
- Berufstätige mit häufigen Tätigkeitswechseln
Innovative Technologien 2024:
- Pupillenoptimiertes Design: Passt sich der Pupillengröße an
- Tagesfeuchtigkeitstechnologie: Ganztägiger Tragekomfort
- UV-Schutz: Integrierter Schutz vor schädlichen UV-Strahlen
Monovision-Kontaktlinsen
Das Führungsauge wird für die Fernsicht korrigiert, das Begleitauge für die Nahsicht. Das Gehirn lernt, das jeweils schärfere Bild auszuwählen.
Vorteile:
- Weniger Lichtringe (Halos) als bei Multifokallinsen
- Kostengünstiger als multifokale Linsen
Nachteile:
- Eingeschränktes räumliches Sehen
- Gewöhnungsbedürftig
- Nicht für jeden geeignet
3. Operative Verfahren – Dauerhafte Lösungen
Refraktiver Linsentausch (RLE) mit Multifokallinsen
Der Goldstandard für die dauerhafte Presbyopiekorrektur. Die körpereigene Linse wird durch eine künstliche Multifokallinse ersetzt.
Moderne Entwicklungen 2024:
- „Mix-and-Match“-Methode: Ein Auge erhält eine EDOF-Linse (Extended Depth of Focus), das andere eine Multifokallinse
- Nanolaser-Technologie: Ultrakurze Laserimpulse verflüssigen die natürliche Linse schonend
- Trifokale Linsen: Optimales Sehen in Nähe, Ferne und Zwischenbereich
Linsentypen im Überblick:
Monofokale Linsen:
- Scharfe Sicht in nur einer Entfernung
- Lesebrille meist weiterhin erforderlich
- Geringste Nebenwirkungen
Bifokale Multifokallinsen:
- Fernbereich und Nahbereich (30-50 cm)
- Ideal für Lesen und Computerarbeit
Trifokale Multifokallinsen:
- Drei Brennpunkte: Ferne, Zwischenentfernung (60-80 cm), Nähe
- Höchste Brillenunabhängigkeit
EDOF-Linsen (Enhanced Depth of Focus):
- Erweiterter Schärfentiefebereich
- Besonders gutes Zwischensehen
- Weniger Nebenwirkungen als klassische Multifokallinsen
Operative Vorteile:
- Dauerhafte Lösung – lebenslange Haltbarkeit
- Kombinierte Korrektur von Presbyopie und anderen Fehlsichtigkeiten
- Keine Regression der Korrekturwirkung
- Schutz vor Grauem Star in der Zukunft
Monovisions-LASIK
Korrektur der Hornhaut zur Einstellung unterschiedlicher Sehstärken für beide Augen.
Einschränkungen:
- Nicht für alle Patienten geeignet
- Begrenzte Behandlungsparameter
- Hauptsächlich für leichte Presbyopie
Presbylaser (nicht empfohlen)
Wichtiger Hinweis: Die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG) und die Kommission Refraktive Chirurgie (KRC) raten von der alleinigen Hornhaut-Laserbehandlung zur Presbyopiekorrektur ab. Das Verfahren ist:
- Nicht rückgängig zu machen
- Nicht ausreichend etabliert
- Verhindert spätere Multifokallinsen-Implantation
4. Phake Presbyopie-Implantate
Zusätzliche Implantate vor die natürliche Linse zur Monovisions-Korrektur.
Nachteile:
- Begrenzte Wirkungsdauer
- Meist temporäre Lösung
- Weitere Operationen oft erforderlich
Verlauf und Prognose der Presbyopie
Natürlicher Verlauf
Die Presbyopie schreitet kontinuierlich fort bis etwa zum 65. Lebensjahr. Danach stabilisiert sich der Zustand meist. Der normale Leseabstand von etwa 40 cm vergrößert sich über die Jahre, bis bei vollständiger Presbyopie der Nahpunkt bei etwa 2 Metern liegt.
Progression der Glasstärke
Die benötigte Nahaddition muss alle 2-3 Jahre angepasst werden, da die Akkommodationsfähigkeit kontinuierlich abnimmt. Diese regelmäßige Verstärkung ist normal und unvermeidlich.
Langzeitprognose
Mit geeigneter Korrektur ist die Prognose ausgezeichnet. Moderne Behandlungsmethoden ermöglichen ein normales Leben ohne wesentliche Einschränkungen. Bei operativen Verfahren ist die Zufriedenheitsrate hoch, wobei über 90% der Patienten mit Multifokallinsen brillenfrei leben können.
Häufige Fragen zur Presbyopie
Kann man Presbyopie vorbeugen?
Nein, Presbyopie ist ein natürlicher Alterungsprozess und kann nicht verhindert werden. Eine gesunde Lebensweise trägt zur allgemeinen Augengesundheit bei, beeinflusst aber nicht die Entstehung der Alterssichtigkeit.
Ist Presbyopie eine Krankheit?
Kontrovers diskutiert. Medizinisch wird sie oft als physiologischer Alterungsprozess betrachtet, nicht als Krankheit im eigentlichen Sinne.
Wann sollte man zum Augenarzt?
Bei ersten Anzeichen von Nahsehproblemen ab dem 40. Lebensjahr ist eine augenärztliche Untersuchung empfehlenswert. Schnelle Verschlechterungen sollten umgehend abgeklärt werden.
Welche Behandlung ist die beste?
Die optimale Behandlung ist individuell verschieden und hängt ab von:
- Lebensalter und beruflichen Anforderungen
- Freizeitaktivitäten und Hobbys
- Bereits bestehende Fehlsichtigkeiten
- Persönliche Präferenzen bezüglich Sehhilfen
Sind operative Verfahren sicher?
Moderne Operationsverfahren wie der refraktive Linsentausch sind sehr sicher und haben hohe Erfolgsraten. Wie bei jeder Operation bestehen jedoch Risiken, die in einem ausführlichen Beratungsgespräch erläutert werden.
Zukunftsausblick: Neue Entwicklungen in der Presbyopie-Behandlung
Innovative Linsentechnologien
2024 und darüber hinaus werden weitere Verbesserungen erwartet:
- Verbesserte Multifokallinsen-Designs mit reduzierter Blendempfindlichkeit
- Adaptive Linsen, die ihre Brechkraft verändern können
- Intelligente Implantate mit Sensortechnologie
Medikamentöse Ansätze
Forschung an Augentropfen zur temporären Verbesserung der Akkommodation läuft in verschiedenen Studien.
Regenerative Verfahren
Experimentelle Ansätze zur Wiederherstellung der Linsenelastizität befinden sich in der Entwicklung.
Fazit
Die Presbyopie ist eine natürliche Altersveränderung, die praktisch jeden Menschen betrifft. Dank moderner Behandlungsmethoden stellt sie heute keine wesentliche Einschränkung der Lebensqualität mehr dar. Von der einfachen Lesebrille bis hin zu hochmodernen Multifokallinsen-Implantaten stehen vielfältige, sichere und effektive Behandlungsoptionen zur Verfügung.
Die Wahl der optimalen Behandlung sollte immer in enger Absprache mit einem erfahrenen Augenarzt erfolgen, der die individuellen Bedürfnisse und Lebensumstände berücksichtigt.